Donnerstag, 12. Januar 2012

Kleinvieh

Halbnackt lag sie in seinen Armen und drehte sich langsam mit ihm im Takt. Dort, wo sie hintanzten, machte die Menge respektvoll Platz. Er war glücklich, denn sie war jetzt seine Frau, und mit ihr kam ein Vermögen in seinen Besitz, das er sich nie zu erträumen gehofft hatte. Bis ans Ende seiner Tage würde er in Saus und Braus leben können. Er würde sich von keiner mehr aushalten und keine mehr heiraten müssen. Woher ihr Reichtum kam, hatte er nie gefragt. Er wusste nur, dass sie ihn nicht ererbt, sondern sich erarbeitet hatte. Aber wie? Sie war ein gutmütiger Mensch, einer jener sonderbaren ruhelosen Charaktere, die nicht imstande waren, eine Ungerechtigkeit gelassen hinzunehmen, ja sie konnte noch nicht einmal das ertragen, was ihr als solche erschien. Wie hätte sie dann Geschäfte machen können, die ihr anderen gegenüber einen finanziellen Vorteil verschafft hatten? Gewiss manchmal forderte sie von anderen die zarteste Rücksicht, während sie selbst schroff und unduldsam war. Aber das hatte nichts mit ihrem Geld zu tun. Es war eine Laune der Natur und entsprach nicht ihrem Wesen. Er wüsste mit diesen Grillen fertig zu werden.
Vom Meer wehte ein köstlicher lauer Wind, und der Anblick des halb grauen, halb rötlichen Himmels, der sich über ihnen auftat, würde in Wien sicher rätselhaft sein.
»Wenn einer nicht genug Grütze im Kopf hat«, sagte sie plötzlich und blickte ihn mit ihren absinthgrünen Augen an, »dann ist es sein eigener Schaden.« Sie riss sich von ihm los, streckte die Arme in die Luft und begann sich ganz entgegen der Musik konvulsivisch hin und her zu wiegen, ohne ihn aus den Augen zu lassen. »Ich weiß, wer und auch was du bist«, sagte sie langsam, indem sie jedes einzelne Wort betonte und bewegte sich um ihn herum. »Du bist nicht der, für den du dich ausgibst. Du bist ein Heiratsschwindler, ein Betrüger. Du hast geglaubt, du könntest ab heute wie eine Made im Speck leben!«
Sein verblüffter Blick folgte ihr und ließ ihn, sich um seine eigene Achse drehen. Es war ihm, als ob ein Engel plötzlich Zoten sang und sich in hysterischen Krämpfen wand.
»Du hast dich getäuscht. Ich bin genauso wenig vermögend wie du.« Sie machte eine Pause und fuhr ihm, während sie sich weiter um ihn drehte, mit dem Handrücken über Gesicht und Hinterkopf. »Aber vielleicht werde ich es noch.« Sie lachte. »Mit deiner Hilfe.«
Er wollte etwas entgegnen, war aber so verwirrt, dass er kein Wort herausbrachte.
»Ich bin eine Mätresse, eine Hure. Und du - » Sie machte eine Pause. »Du bist jetzt mein Lude.« Sie lachte. »Man muss sich in dieser Welt zu schicken wissen. Ich gehören nicht zu denen, die eine Königin übertrumpfen wollen, indem sie ihre Tür bloß den Reichen und Mächtigen öffnet. Es gibt keinen größeren Berg als den, den man mit, › Wenig und Oft‹ aufbaut. Dumme Hühner sind diejenigen, die sagen: ›Ein Ochse macht auf einmal so einen Haufen wie tausend Fliegen zusammen.‹ Denn es gibt so viel mehr Fliegen als Ochsen. Auf einen großen Herren kommen zwanzig, die dich mit Versprechungen zahlen, aber tausende von denen, die keine großen Herren sind, füllen dir die Hände. Ich weiß ganz gut, welche schönen Batzen Schenkwirte, Theriakshändler, Scherer, Barbiere und Bauern vertun.«

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen