Montag, 14. November 2011

Einsamkeit


Mathilda schlug die Augen auf. Der Mann, den sie schnaufen gehört hatte, lag immer noch neben ihr. Sofort verließ sie das Bett, ohne sich etwas überzuziehen. Das Gefühl des Erstickens, das die Angst im Moment des Aufwachens in ihr aufsteigen ließ, schob sie zur Seite. Sie öffnete das Fenster, um frische Luft ins Zimmer zu lassen und ging ins Bad.
Während sie in den Spiegel blickte, dachte sie an den Traum, der sie hatte aufwachen lassen, an den sie sich jetzt aber nicht mehr erinnerte. Es war wie mit dem Kuss vorletzten Freitag nach der Arbeit, der etwas in ihr ausgelöst hatte, was sie in der Nacht wieder hatte wachrufen wollen. Es war ihr aber nicht gelungen, so wie es ihr jetzt nicht gelang, sich an den Traum zu erinnern, der mit diesem Gefühl, das sie wiederzubeleben gesucht hatte, zusammenhing.
Wie kam es, dass man nach dem Erwachen, schon ganz der Wirklichkeit wiedergeben, fast immer die Empfindung hatte, als ließe man mit dem Traum irgendein ungelöstes Rätsel hinter sich? Man lachte über seine Unsinnigkeit, wenn man sich zumindest bruchstückhaft an ihn erinnerte, und fühlte zugleich, dass in der Verkettung dieser Unsinnigkeit irgendein Gedanke oder Gefühl enthalten war, das zu unserem wirklichen Dasein gehörte, etwas das in unserem Herzen lebte und schon immer darin gelebt hatte. Der Traum hatte gleichsam etwas Neues, Prophetisches, aber auch Erwartetes verkündet; der Eindruck war stark; er war freudig oder qualvoll, aber worin er bestand und was einem gesagt worden war, konnte man weder verstehen, noch sich darauf besinnen. Vielleicht war es die unbestimmte Sehnsucht nach wirklicher Verschmelzung, nach der Aufhebung der Einsamkeit, was letzte Nacht nicht gelungen war.

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