Montag, 28. November 2011

Weiße Lügen

Stolz öffnete er die Tür zu dem Raum, den er Wohnzimmer nannte. »Sophie und ich haben alles minimalistisch gehalten«, sagte er und machte eine ausladende Handbewegung, die nicht zu seinen Worten passen wollte, und schon gar nicht zu den vier, fünf Möbelstücken, die vereinzelt auf einem marmornen Boden herumstanden: ein gläserner Couchtisch, der leicht zu übersehen war, ein riesiges schwarzes Ledersofa und drei dazugehörige Sessel. Keine Bücher, keine Bilder an der Wand, kein Teppich, nichts. Und auch hier dieses blendende Weiß, dem nichts entging, das auf alles wirkte, das es umgab, und dessen Aufgabe es war, zu entblößen und zu reinigen, wie er immer wieder betonte, während er mich an den schnatternden Partygästen vorbeiführte.
Und er hatte Recht! Sein großes, weißes Haus wirkte leer, selbst wenn es voll war, - weil das meiste, das darin stand, nicht hineingehörte und bald wieder daraus entfernt werden würde. Das waren vor allem all diese gut aussehenden Menschen, die er seine Freunde nannte, und was sie bei sich trugen. Nur wenige Dinge wirkten hier am Platz und noch weniger wirkten sie zu Hause. Diejenigen Dinge aber, die am Platz wirkten, die hierher zu gehören schienen, sahen aus, als wären sie vorher präpariert, ja als wären sie bereits von innen heraus gereinigt worden. Das galt auch für Sophie, die mit hübschem leeren Lächeln am Eingang stand und die Gäste mit einem immer vollen Pro-Secco-Glas begrüßte.
»Na, was sagst du?«, fragte er. »Habe ich übertrieben? Die Räume sind sehr direkt und sehr klar angelegt. In ihnen gibt es keine Möglichkeit zur Lüge.«
Ich nickte.
»Weil sie nur das sind, was sie sind.« Er packte mich plötzlich am  Arm. »Und zum Abschluss –«, er machte eine Pause und kniff eins, zwei Mal das linke Auge zu, als wolle er mir zuzwinkern. »Zum krönenden Abschluss zeige ich dir unser Allerheiligstes, wenn du willst, den Ort unserer heißen Liebesnächte.«
»Auch in Weiß?«, fragte ich und ließ es nach Bewunderung klingen.
»Ganz in  Weiß!«, antwortete er immer noch voller Stolz.
»Und darin wahrscheinlich ein Riesenbett. Und sonst nichts?«
»Ja, woher ...«
»Nein«, unterbrach ich ihn und klopfte ihm jovial, fast mitleidig auf die Schulter, »das brauch ich nicht mehr zu sehen.«

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