Mittwoch, 9. November 2011

In der Schwebe


Schließlich zog sie ihn in einen Winkel des überfülltesten der vier Säle. Sie nahm die Maske ab und sah ihn an, ohne zu lächeln, plötzlich wie entrückt. In diesem Moment mitten im Gedränge ergriff ihn das heftige Verlangen, sie zu küssen, sie zu umarmen und nie mehr loszulassen.
Ihr Mund kam immer näher.
Doch statt aufzurücken, Gesicht auf Gesicht, trat er in einer Bewegung von Schwanken und Zaudern zur Seite. Er ließ es aussehen, als habe man ihn geschubst oder von ihr weggedrängt.
»Warum küsst du mich nicht«, fragte sie immer noch nahe an seinem Gesicht.
Er tat, als habe er sie im Getöne nicht verstanden, lächelte blöde. Sollte er sie wirklich küssen?
Dann kramte er seine Zigaretten hervor, um sich eine anzuzünden. Tief zog er den Rauch ein und blies ihn wieder aus, um sich zu vergewissern, ob er noch lebte. Warum küsste er sie nicht? Warum zauderte er? Er wollte es doch! Es kam ihm vor, als ob die Erde plötzlich stehen geblieben war.
Man könnte im Zaudern eine Art Wahnsinn erkennen, dachte er, einen exzentrischen Augenblick, in dem man nicht nur die Tat, sondern auch die Welt, in der sie sich realisiert, in der Schwebe hält.
Er lachte auf. »Ich werde dich küssen“, sagte er, „aber ich sag dir nicht wann!«

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