Dienstag, 15. November 2011

Metaphysisches Raumspray

Ein metaphysisches Raumspray, das die Luft reinigte. Bei dem Gedanken fiel ihr die Geschichte über eine thüringische Stadt am Ende des 18. Jahrhunderts ein, die ihr der Vater einmal erzählt hatte.
Der Name der Stadt war ihr entfallen. Weil der Besuch des Königs unmittelbar bevorstand, ließ der Bürgermeister die Stadt herrichten. Die Bürger wurden aufgerufen die Häuser und Straßen zu schmücken und auch den Abfall zusammenzukehren.
Das tat man sehr gründlich, viel gründlicher als sonst. Aber da man den ganzen Kehricht nicht vollkommen beseitigt, sondern wie immer einfach in die Rinnsteine befördert hatte, begann sich ein enorm widriger Geruch auszubreiten. Es blieb nicht mehr viel Zeit, um den Unrat auf großen Wagen aus der Stadt zu schaffen, denn in der Ferne hörte man schon die Fanfaren des Königs klingen.
In der Not und der gebotenen Eile schien dem Bürgermeister der geniale Einfall eines Stadtverordneten rasche Abhilfe zu versprechen: Und so wurden alle Gefangenen und Vagabunden sofort aus den städtischen Kerkern herausgelassen und in Reih und Glied an die Gestankstätten befehligt, um sodann den Geruch aufzuriechen.
Doch es war schon zu spät. Die Gefangenen und Vagabunden hatten auf Befehl des Stadtkommandanten gerade damit begonnen, die Nasenflügel rhythmisch im Schlage der Trommeln zu öffnen und zu schließen, als die prächtige Kutsche des Königs in die Stadt gefahren kam.
Der König nickte und winkte den Gefangenen zu, weil er sie für brave Bürgersleute hielt. Erst als er seinen Kopf aus der Karosse reckte und den Gestank wahrnahm, bemerkte er, dass hier etwas nicht stimmte. Denn hier war es nicht wie in den anderen Städten seines Reiches, wo es nach Braten, allerhand Gebäck und anderen Spezereien roch und wo man ihm im Sonntagssaat und Fähnchen schwenkend zujubelte.
Er ließ die Kutsche anhalten und fragte den Erstbesten, was hier vor sich gehe.
Als dieser ihm erklärte, was es mit dem Aufzug auf sich habe, zog der König sich sein Schnupftuch vor die Nase haltend in die Kutsche zurück und ließ die Gefangenen ihre Arbeit verrichten.
Bald war der Gestank aufgerochen und der König konnte aus seiner Kutsche steigen.
In diesem Moment kamen die Bürger, die sich peinlich berührt in ihren Häusern verkrochen hatten, erlöst und mit lautem Jubelgeschrei auf die Straßen und Plätze gestürmt. Die Freude war groß.
Der König, dem eine solche Ehrerbietung bislang noch nicht zuteil geworden war, verlieh dem Bürgermeister daraufhin einen großen Orden und gewährte den Gefangenen einen Tag Urlaub.
Fortan aber mussten die Gefangenen und Vagabunden an jedem Samstag auf die Straße, um die Verunreinigung der Luft und die giftigen Ausdünstungen der Erde aufzuriechen. – Genauso musste es mit einem metaphysischen Raumspray sein. Es zog die schlechte Luft einfach auf.

aus: © Neumann, Hubert: Lusthängen. Remscheid 2007.
Bestellung signierter Exemplare unter dem Reiter "Kontakt". 

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