Dienstag, 25. Oktober 2011

Reifeln

»Weinfässer“, lallte der dickere der beiden alten, besoffenen Küfermeister, die aus dem Wirtshaus „Zum Bären“ getorkelt kamen, „platzen, wenn man…“ Er hielt einen Moment inne, suchte Halt an der großen Pferdetränke vor dem Wirtshaus, spreizte ein wenig die Beine und ließ krachend einen Wind fahren. »…wenn man nicht von Zeit zu Zeit den Deckel öffnet und die Luft herauslässt!«
»Wem sagst du das!«, gab ihm der andere, ein Glatzkopf, unüberhörbar rülpsend zurück. »Sonst gerät das Fass außer Rand und Band und wir… wir müssen’s wieder reifeln!«
„Genau!“, pflichtete ihm der dickere bei und machte eine Bewegung auf ihn zu. Er schlingerte und bekam gerade noch ein Zipfel von dessen Wams zu greifen, sonst wäre er in den stinkenden Stadtbach geschlittert; ein Rinnsal, in das nach Belieben alles geschüttete und geworfen wurde, was man auf den Straßen und in die Häusern nicht dulden wollte. »Man muss den Unflat von sich treiben«, fuhr er unbeirrt fort. »Sollt’ man wegen eines Fürzleins krank werden?« Bekräftigend klopfte er seinem Saufkumpanen auf die Schulter. »Nein! – Da ist es doch besser diesen Dampf herauszulassen, als lange beim Doktor zu liegen! – Selbst die Ärzte sagen nur gute Dinge über den Furz, mein Freund!« Er verstummte für eine Weile und starrte seinen Gefährten mit glasigen Augen an. »Zwinge nie die Hinterbacken, den Lärm bei sich zu behalten. Gleich hast du Bauchgrimmen und Magenkrämpfe, Schwindel und die langsame Wassersucht.«
»Jawohl!«, entgegnete der Glatzkopf. »Lass fahren, was keine Lust zu bleiben hat!«
»Ja, lass fahren!«
Schweigend lagen sie sich in den Armen und blickten in den sternenklaren Himmel. Nach einer Weile setzten sie ihre Unterhaltung ein wenig bekümmert fort: Früher, sagten sie, ja früher sei alles sehr viel besser gewesen. Da hätte einjeder auf seine Fässer und besonders die Weinfässer geachtet und die gärende Luft nicht weniger als zweimal die Wochen aus ihnen herausgelassen. Aber heutzutage… Wie viel unnötige Arbeit hätten sie heutzutage mit zerborstenen Weinfässern, weil sich niemand mehr die Mühe mache, nach diesen zu sehen, wenn es in ihnen rumore und brodele. Wie bei den Fässern, so bei den Menschen, weiteten sie das unerschöpfliche Thema aus. Der innerliche Druck mache das Leben unmöglich, gäbe es da kein Gleichgewicht zwischen der von außen kommenden und der im Körper enthaltenen Luft, ein heikles Gleichgewicht, das beim Menschen durch Rülpser und Fürze, aber auch durch das Atmen, und bei Fässern durch Entlüftung beständig aufrechterhalten werden müsse. - Genauso sei es auch beim Gemeinwesen: Ab und zu müsse man auch da den Deckel auftun und die schlechte Luft herauslassen.
»Sonst gerät alles außer Rand und Band«, bekräftigte der Glatzköpfige.
»Und der himmlische Küfer dort droben«, ergänzte der Dicke tiefsinnig und zeigte in den Himmel, »muss dann alles wieder reifeln!«
»Jawohl! – Die Reifen immer schön feste anziehen und verschieben, damit alles seine gebührende Form und Festigkeit behält!« Fast regungslos stand der Glatzköpfige da, die gespreizten Beine mit letzter Anstrengung in den Boden gepflockt und starrte in den Himmel. »Wie hier unten, so da droben!«, verkündete er würdevoll. Leicht nur wippte sein Oberkörper.

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